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Die Grenzen des Bauwachstums

Wer Klimakrise sagt, muss auch nach dem Wie beim Bauen fragen. Grund genug für ISOCELL, im Headquarter in Neumarkt am Wallersee zum Expertengespräch „Klimaneutralität im Gebäudesektor“ zu laden. Gerhard Löffler und Franz Mair vom Pionierland Salzburg arbeiten in der Abteilung Energiewirtschaft und -beratung, Hermann Grießner als Energieberater beim Energiedienstleister Salzburg AG. Die Fragen stellten die ISOCELLER Gabriele Leibetseder und Moritz Stiegler. Sie wollten Antworten auf die Fragen: Wie findet der Endkunde den Weg zu ökologischen Baustoffen? Muss die Politik erziehen oder schafft es die Gesellschaft von selbst?

Gabriele Leibetseder: Hermann Grießner, Sie sind Energieberater der Salzburg AG. Bei der Energie ist das Thema Nachhaltigkeit und Ökologie schon lange im Mainstream angekommen. Ist die Ökologie der Baustoffe auch in der Energieberatung ein großes Thema?

HERMANN GRIESSNER: Entscheidend ist, was am Markt ankommt. Mit Markt meine ich in dem Fall nicht nur den Kunden, sondern auch den Planer oder die Immobilienfirma. Die Frage ist, ob dort unter den bestehenden Rahmenbedingungen ein Vorteil gesehen wird. Wir sehen bei den Endkunden eine Tendenz zum nachhaltigeren Bauen und dauerhafteren Errichten – sie stoßen aber an ihre Grenzen, wenn es um die Finanzierbarkeit geht. Oft ist den Menschen gar nicht bewusst, welche Optionen es neben den gewohnten Baustoffen gibt. Der Holzbau etwa ist langsam im Kommen, aber es wird noch dauern, bis er sich wirklich etabliert hat. Akteure ‒ wie z. B. die Baufirmen ‒ nutzen die Rahmenbedingungen so, dass sie für sie ideal sind. Sie orientieren sich bei der Projektrealisierung daran, wo sie sich sicher sind und für sich und den Kunden Vorteile sehen – und da kommen noch immer viele nicht-ökologische Baustoffe zum Einsatz. Letzte Woche erst hatte ich einen Termin bei einem Kunden und habe ihm Zellulosedämmung für den Dachboden vorgeschlagen. Ich wurde erstaunt angeschaut und gefragt: Geht das überhaupt?

Leibetseder: Woran liegt das?
GRIESSNER: In Salzburg sind im Gegensatz zu anderen österreichischen Bundesländern schon gute Voraussetzungen vorhanden. Der Energieausweis hat schon viele Bereiche abgedeckt, aber es wird weniger auf ökologische Dimensionen als auf das Erreichen von energetischen Schwellenwerten für Baubewilligung und Förderungen geschaut.

Leibetseder: Warum gibt es keine Grenzwerte?

FRANZ MAIR: Weil sich Dinge Schritt für Schritt weiterentwickeln und nicht schlagartig ändern. Die Tatsache, dass im Baurecht gewisse Parameter berechnet werden, ist mehr als positiv. Es wird auch gleichzeitig österreich- und europaweit das Thema vorangetrieben. Im Baurecht bzw. Energieausweis sind derzeit sechs OIB-Richtlinien verankert und eine siebte, die sich mit der Ökologie der Baustoffe beschäftigt, ist in Planung. Sobald die aktuell ist, glaube ich, dass die Voraussetzung für Grenzwerte sehr gut ist.

Moritz Stiegler: Aktuell ist es so, dass der Wert für die Baustoffökologie in Salzburg im Energieausweis ausgewiesen wird. Ich sehe zwar den Wert, aber keine Benchmark, anhand der ich den Baustoff für mich einordnen könnte, wie es beispielsweise im Bereich des Energiebedarfs mit der Kennzeichnung A+ passiert. Die Grundvoraussetzungen sind da, aber der Endkunde tut sich schwer, festzustellen, in welchem Bereich er sich mit seinem Bau befindet bzw. wo die Stellschrauben sind, an denen etwas verändert werden kann. Was kann man dagegen tun?

GERHARD LÖFFLER: Die eine Sache ist, es sichtbar zu machen. Das geht leichter. Aber es wirkt nur begrenzt, weil es lediglich eine bestimmte Klientel ist, die darauf reagiert. Die andere Sache ist, was es kostet. Der Weg zu einem Grenzwert im Baurecht ist eine zeitliche Frage. Man muss die Gesellschaft daran gewöhnen. Da ist der Weg richtig, der schon beschritten wurde, nämlich der Weg der Verankerung in der Förderung. So entsteht Gewöhnung und der Markt erhält ein Gefühl dafür, was ein Wert bedeutet. Wenn die Hemmnisse und Sorgen beseitigt sind, kann man eine Verordnung erlassen und etwas im Baurecht verankern. Aber so rasch ist das nicht möglich. Man muss auch ganz klar sagen, dass die öffentliche Diskussion in eine andere Richtung geht, nämlich in jene des leistbaren Bauens. Und da gibt es durchaus Widerstände in Bezug auf Energieeffizienz und Ökologie, weil die Sorge auf der Kostenseite mitschwingt.

Leibetseder: Viel Zeit bleibt aber nicht mehr. Die Klimakrise ist bereits da.

GRIESSNER: Die Frage ist ja auch: Was bedeutet es eigentlich, ökologisch zu bauen? Wenn man zehn Leute fragt, hört man acht unterschiedliche Standpunkte. Sich nur auf das CO2 zu beziehen, ist zu wenig. Es gibt auch andere Maßzahlen, wie das „Global Warming Potential“, bei denen es stark um die Ökobilanz von Materialien geht. Die Endkunden nur zu befeuern, ist zu wenig, es braucht Information und Bewusstseinsbildung.

Stiegler: Ist es nicht so, dass Klimaschutz eine gewisse Dringlichkeit hat, weil er alle betrifft? Die Klimaveränderung wird viele Regionen dieser Erde lebensfeindlich machen und Menschen zur Abwanderung zwingen. Wäre es nicht eine Option, so wie beim Energieverbrauch Grenzwerte in Form von Stufen einzuführen, damit gewisse Ziele erreicht werden können?

MAIR: In der Wohnbauförderung versucht man, in die richtige Richtung zu gehen. Bei der letzten Novelle, die am 1. August 2020 in Kraft getreten ist, hat man die Mindestanforderung für die Förderung, den Ni30 –  den Nachhaltigkeits-Primärenergieindikator für eine Nutzungsdauer von 30 Jahren – von 120 auf 80 heruntergesetzt. Da hat man die Latte schon etwas höher gelegt und schärfere Anforderungen für die Förderung festgelegt. Die Kennzahl Ni30 setzt sich aus der Summe der Belastung der Primärenergie und CO2 zusammen und irgendwann wird es so werden, dass der Primärenergieaufwand und die CO2-Emissionen reduziert werden – immerhin müssen wir bis 2050 oder schon früher klimaneutral werden.

LÖFFLER: Ich möchte noch einmal auf die Dringlichkeit eingehen. Die ist völlig unbestritten. Die größte Herausforderung ist das Tempo, mit dem wir die Ziele der Klimaneutralität erreichen müssen. Auch wenn es immer besser geht, ist der Neubau gar nicht mehr die große Herausforderung. Die Dringlichkeit ist im Gebäudebestand gegeben – daher sind thermische Sanierung und Beheizungsstruktur ein großes Thema.

Stiegler: Es gibt Baustoffe, die nicht nur CO2-neutral sind, sondern CO2 speichern können. Ist dieser Gebäudespeicher – das Verbauen von CO2-negativen Baustoffen, um die Gesamtbilanz zu verbessern – ein Thema?

LÖFFLER: Im angesprochenen Ni30 sind diese Baustoffe mit negativen CO2-Emissionen enthalten, weil sie als Speicher wirken. Natürlich ist das ein Thema, das sehr wichtig ist, weil wir die Klimaziele sonst nicht erreichen können. Wenn wir weiter in dem Tempo wie aktuell reduzieren, müssen wir auch in Richtung negative Emissionen gehen.

MAIR: Die positive Wirkung der CO2-Speicherung von Bauten mit einem hohen Anteil nachwachsender Rohstoffe wird von einzelnen Interessensgruppen und auch in der Wissenschaft in Zweifel gestellt. Und ja, wenn wir uns in der Sanierung nicht anstrengen, dann werden wir es insgesamt nicht schaffen. Anstrengen heißt für mich, tatsächlich an Schrauben zu drehen, nämlich die rechtlichen Rahmenbedingungen dahingehend besser zu machen, dass es einen Vollzug in diesem Bereich gibt. Mangels Vollzug der baurechtlichen Vorgaben werden Sanierungsmaßnahmen durchgeführt, die den baurechtlichen Vorgaben widersprechen.

Stiegler: Welche Wege gibt es dorthin?

MAIR: Viele. Eine Möglichkeit wäre, die Ressourcen zu besteuern, aber das muss man anpacken und es gibt unterschiedliche Zuständigkeiten. Bei der Ressourcenbesteuerung ist der Bund zuständig, im Baurecht ist das Land zuständig. Wobei auch der Bund viele Maßnahmen setzt und sich dort einiges tut.

LÖFFLER: Das ist auch für uns sehr stark spürbar. Die Kollegen im Bund sagen, dass sie zum Teil mit den Beratungen nicht nachkommen, weil es eine so hohe Nachfrage gibt.

Das gesamte Experteninterview lesen Sie im ISOCELLER 9 ab Seite 12