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Klima und Mensch im Wandel

Wie soll Mensch der Klimakrise gerecht werden? Henning Austmann ist Professor an der Hochschule Hannover. Der Familienvater forscht an der Schnittstelle von Wirtschaft und Nachhaltigkeit. Und erklärt in diesem Gastbeitrag, warum sich nicht nur das Klima wandelt, sondern auch der Mensch wandeln muss.

Herr Austmann, wie können wir unseren Planeten für den Menschen lebenswert erhalten?

Es sollte uns nicht nur um den Erhalt eines für den Menschen erträglichen Klimas gehen. Ein derart enger Fokus wird der Vielfalt und Breite an existenziell bedrohlichen Problemen nicht gerecht. Wir sind aktuell dabei, diverse lebenswichtige, planetare Grenzen zu überschreiten: Man denke an das historische Artensterben, die Versauerung der Ozeane, das drastische Ressourcenschwinden, die exzessive Ausbringung von Phosphor und Stickstoff, den viel zu hohen Süßwasserverbrauch. Wir vertrauen vielerorts darauf, den notwendigen Wandel allein durch technische Innovation bewältigen zu können. Doch trotz diverser technischer Entwicklungen gelingt es uns nicht, die anhaltende Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen einzudämmen. Das hängt unter anderem mit sogenannten Rebound-Effekten zusammen. Als wirkungsvollste Stellschraube erachten wir Nachhaltigkeitsforscher daher die Reduktion unseres Konsumniveaus.

Man hört immer wieder von diesem Aufruf zur Reduktion. Warum müssen wir es selbst anpacken?

Die Gründe dafür sind vielfältig. Erstens sind Politik und Wirtschaft mit ihren bisherigen Ansätzen gescheitert. Zweitens muss ich mich fragen, wie ich es rechtfertigen kann, weiter beim Untergang zuzuschauen und jede Verantwortung von mir zu weisen. Nicht nur gegenüber den aktuell Leidenden, sondern auch gegenüber jenen, die in Zukunft die absehbar immer heftigeren Konflikte um die Reste unserer natürlichen Lebensgrundlagen auszuhalten haben. Zumal – und das ist ein drittes Argument – der Schritt hin zu einem Ein-Planeten-Lebensstil durchaus das Potenzial hat, persönliches Glücksempfinden zu steigern. In unserer aktuellen Überflussgesellschaft würde die Rückbesinnung auf die Gestaltungsprinzipien der Natur – darunter unter anderem Entschleunigung, Entrümpelung, Entkommerzialisierung, Kooperation, Kreisläufe, Dezentralisierung und Re-Regionalisierung unseres Alltags – viele wunderbare Wirkungen mit sich bringen: Weniger Stress, weniger Reizüberflutung, geringere finanzielle Bedürfnisse, mehr Resonanz, höhere Unabhängigkeit, gestärkte Krisenfestigkeit und ein gesteigertes Gemeinschaftsgefühl. Insgesamt würden wir auf einem niedrigeren Konsum- und Produktionsniveau also nicht nur unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhalten, sondern auch noch eine Zunahme an Lebensqualität erreichen. Und dabei eine ökologisch, sozial und ökonomisch verträgliche Entwicklungsperspektive für alle Nationen der Welt bieten.

Mein Kollege Niko Paech schlägt diesbezüglich einen wichtigen Perspektivwechsel vor: Wer im Überfluss lebt, für den bedeutet „weniger nicht Verzicht, sondern Befreiung. Souverän und glücklich ist nicht, wer viel hat, sondern wer wenig braucht.“ Ich finde diese Perspektive richtig und wichtig. Besonders effektiv wäre es dafür unter anderem, deutlich weniger Fleisch zu essen, da die industrielle Fleischproduktion für einen Großteil der aktuellen ökologischen Herausforderungen verantwortlich ist. Auch der Umstieg von Individualverkehr auf öffentlichen beziehungsweise geteilten Verkehr, das Neinsagen zu Flugreisen, die Reduktion unserer Wohnflächen-Ansprüche oder das Teilen, Reparieren und längere Nutzen von technischen Geräten würden uns helfen, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten. Keine dieser Handlungen kostet Geld, im Gegenteil. Wir könnten jetzt sofort damit beginnen.

Aber braucht es nicht auch und vor allem einen Umbau der Rahmenbedingungen auf globaler Ebene?

Natürlich. Insbesondere muss Politik die Marktwirtschaft reparieren: Preise müssen die soziale und ökologische Wahrheit sagen. Und wir müssen unser Finanzsystem reformieren. Es trägt in der heutigen Form maßgeblich dazu bei, dass unser aktuelles Gesellschafts- und Wirtschaftssystem nicht zukunftsfähig ist. Aber: Solche Schritte werden nicht zuerst durch Politik- oder Wirtschaftsgrößen initiiert. Schon Gandhi sagte: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ In diesem Sinne müssen möglichst viele von uns mit dem Wandel anfangen und damit dazu beitragen, dass die notwendigen politischen Reformen wählbar werden.

Aber gefährdet so ein Weg nicht den Fortschritt?

Wer sich intensiver mit der Geschichte unserer Spezies beschäftigt, wird schnell erkennen, dass das, was wir aktuell als „normal“ erachten, aus historischer Vogelperspektive extrem unnormal ist. Richtig ist, dass wir in vielen Ländern der Welt in den vergangenen beiden Jahrhunderten erstaunliche Wohlstandsgewinne erzielt haben. Verkannt werden dabei aber regelmäßig zwei schmerzhafte Tatsachen: Erstens waren diese Wohlstandsgewinne nur auf Kosten eines exorbitanten, nicht dauerhaft fortführbaren Naturkapitalverzehrs möglich. Zweitens sind wir trotz dieses historischen Substanzverzehrs Lichtjahre davon entfernt, diese Wohlstandsgewinne allen Menschen auf der Welt zugänglich zu machen. Dazu kommt, dass wir in den Industrienationen seit mehreren Jahrzehnten weit über unsere Bedürfnisse hinausschießen. In unserem von Dauerkonsum geprägten Wirtschaftsparadigma leben wir heute in einer nicht verantwortbaren Fülle und Verschwendung. Was sind das für Menschen, die von einem Rückschritt sprechen, wenn Wissenschafter in dieser ÜberflussSituation zu einem genügsameren Lebensstil im Einklang mit einem Planeten Erde aufrufen? Welchen Sinn hat unser bisheriges Fortschrittsverständnis, wenn es uns als Gesellschaft an den Abgrund unserer Existenz geführt hat? Und was wäre in dieser Situation so verkehrt an „Rückschritt“, wenn wir durch die Emanzipation gegen unsere Abhängigkeit von Öl und Konsum endlich einen Weg fänden, globale Gerechtigkeit herzustellen und nicht in den Abgrund zerstörter natürlicher Lebensgrundlagen zu stürzen?

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